Wenn der Osten ganz westlich wird - CDU-Fraktionsreise nach Tallinn

Einmal in der Legislatur geht die CDU-Landtagsfraktion gemeinsam auf Reisen. Wandte man sich in den vorherigen Wahlperioden meist Richtung Westeuropa, so war in diesem Jahr mit Estland erstmals eine Region des ehemaligen Ostblocks Ziel der Reise. Genauer gesagt Tallinn, das frühere Reval, die Hauptstadt Estlands.

Tallinn by Mmwikiest
Tallinn by Mmwikiest

Das Ziel war – neben der Schönheit von Stadt und Land – auch politisch nicht ohne Grund gewählt. Estland hat seit der wiedererlangten Unabhängigkeit 1991 eine ganz bemerkenswerte Entwicklung genommen. Schon früh orientierte sich das kleine, aber sehr stolze Land gen Westen und erneuerte seine traditionellen Wirtschafts- und Kulturbeziehungen dahin, insbesondere in den skandinavischen Raum. Ein beispielloses Wirtschaftswachstum war die Folge. Dazu beigetragen haben auch gut ausgebildete und motivierte Menschen, die mit Estnisch, Russisch und Englisch meist gleich drei Sprachen sprechen.


Estland hat in seinen Boom-Jahren viel Wert auf eine dienstleistungsnahe Wirtschaft gelegt. Hinzu kommt die konsequente Hinwendung zum Internet und den neuen Medien. Das „papierlose Kabinett“ ist schon seit vielen Jahren Realität und wird durch eine weitgehend „papierlose Verwaltung“, die sehr transparent für die Bürger arbeitet, ergänzt. Zu Estland gehört, neben einer 99%-igen Abdeckung mit freiem WLAN, beispielsweise auch die Möglichkeit, sein Parkticket nicht mehr umständlich am Automaten zu ziehen, sondern es bequem per Smartphone zu lösen. Eine benutzerorientierte Anwendung von Internet und neuen Medien steht im Vordergrund – vielfach beispielhaft für Deutschland und Westeuropa insgesamt. Und so wundert es auch nicht, dass Tallinn zwar die Herkunft als osteuropäische Metropole nicht leugnet, aber sehr konsequent westliche Elemente im Stadtbild verankert.

 

Estland war auch durch die Finanz- und Wirtschaftskrise getroffen, schwerer als so manches Land Westeuropas. Die Esten sahen sich mit der Situation konfrontiert, dass sie auf den Niedergang des BIP um 16 Prozent binnen eines Jahres reagieren mussten. So manch anderes Land Europas wäre an dieser Aufgabe zerbrochen oder zumindest in tiefe innenpolitische Krisen gestürzt worden. Die Esten machen kein Hehl daraus, dass auch für sie die Zeit hart war, aber sie sind stolz darauf, dass sie diese Herausforderung gemeistert haben. Die Maßnahmen waren drastisch: Erhebliche Ausgabenkürzungen des Staates wurden durchgesetzt. Allein die Bediensteten im öffentlichen Dienst mussten Einkommenseinbußen von bis zu 20 Prozent hinnehmen.

Estland ist mit diesen Maßnahmen gut durch die Krise gekommen. Das Wirtschaftswachstum beträgt wieder stabil mehr als 3 Prozent jährlich. Die die Maßnahmen durchsetzende Regierung von Liberalen und Konservativen unter Ministerpräsident Andrus Ansip wurde sogar bei den Wahlen 2011 mit deutlicher Mehrheit im Amt bestätigt. So war es wohltuend, gerade im Gespräch mit dem Ministerpräsidenten, aber auch bei Parlamentspräsidentin Ene Ergma, deutlich vor Augen geführt zu bekommen, wie wichtig eine solide Finanz- und Wirtschaftspolitik ist und wie groß die Gemeinsamkeiten gerade in diesem Feld zwischen Estland und Sachsen sind. Das „kleine“ Estland, welches 2011 der Euro-Zone beigetreten und jetzt auch bereit ist, in der Euro-Krise zu helfen, beobachtet sehr kritisch, welchen „Tanz“ einige Länder Südeuropas aufführen, deren Probleme zwar deutlich geringer sind als die von Estland vor einiger Zeit, die aber offenbar unfähig sind, die Lösungswege Estlands auch nur im Ansatz umzusetzen. Die Frage nach dem Umfang europäischer Solidarität und dass die „Großen“ den „Kleinen“ helfen sollen, bekommt in Anbetracht der Entwicklung Estlands eine ganz eigene Bedeutung, die auch uns zum Nachdenken bringt.

 

Es waren interessante und lehrreiche Tage in Tallinn. Eine wunderschöne Stadt, die insbesondere mit ihrer fast noch mittelalterlichen Altstadt besticht. Eine wunderbare Landschaft. Und eine aufgeschlossene und angenehme Bürgerschaft, die offenbar nicht der weitverbreiteten Krankheit Westeuropas erlegen ist und zunächst nach dem Staat schielt, sondern die sich selbst etwas zutraut und dies auch umsetzt. Estland – ein Land, in dem sich ein Besuch aus vielen Gründen lohnt. Die CDU-Fraktion hat gegenüber den estnischen Partnern deutlich gemacht, dass großes Interesse daran besteht, die Beziehungen zueinander enger zu gestalten. Auch ich bin mir sicher, dass ich wieder in dieses interessante Land zurückkehren werde.